31 März 2009

Inszenierung

Michael Meyer-Blanck nennt sein Essay über den Gottesdienst INSZENIERUNG DES EVANGELIUMS. Bei "Inszenierung" denken wir unwillkürlich an etwas Vorgespieltes, Unechtes, zur Schau Gestelltes. Stimmen aus dem Kreis der Prediger, aber auch Gottesdienstbesucher aus der Kerngemeinde äußern die Befürchtung, mit "Inszenierung" sei etwas Spektakuläres gemeint.

Dagegen wehrt sich Meyer-Blank ausdrücklich. Ihm geht es darum, aus der großen Vielfalt möglicher Verhaltensweisen eine bewusste Auswahl zu treffen, und diese dann aber auch bewusst und angemessen zu gestalten. Er bearbeitet in der Folge die "üblichen" Teile des Gottesdienstes; Experimente in einem "Zweiten" oder "Dritten Programm" werden lediglich beiläufig erwähnt.

"Beim Gottesdienst gibt es keine Trennung zwische Bühne und Zuschauerraum." (19) Das unterscheidet ihn von einem Theaterstück. Die ganze Gemeinde spielt in der Inszenierung mit, selbst wenn sie nur zuhört, kann sie doch nicht als Akteur außer Acht gelassen werden. Ist es das, was den verfechtern des Predigtgottesdienstes so Schwierigkeiten macht? Dass sie nicht als Einzelkämpfer vorn stehen dürfen, sondern die Gemeinde mitzunehmen angehalten sind?

Meyer-Blanck plädiert für eine gute Predigt, allerdings in den liturgischen Vollzug eingebettet: Er wendet sich bereits gegen eine Trennung von Predigt und Liturgie. Und den protestantischen Impuls sieht er darin, dass der Vollzug des Rituals immer zugleich mit reflektiert wird. Er betont eine reflektierende Note, gegen ein magisch verstandenes Ritual.

Die Inszenierung wird bei ihm nicht schematisch formuliert; hier denkt er den Ansatz von Felix Ritter voraus, der unsere gottesdienstliche Arbeit im Kirchenbezirk Mosbach mit begleiten wird: "Der Weg zur eigenen Theologie führt nur über das eigenständige Durchdenken, ebenso führt der Weg zum angemessenen liturgischen Agieren nur über das eigenständige Durchleben körperlicher Haltungen, wie sie auch im Gottesdienst vorkommen." (27)

27 März 2009

Lange haben wir das Lauschen verlernt!
Hatte Er uns gepflanzt einst zu lauschen
Wie Dünengras gepflanzt, am ewigen Meer,
Wollten wir wachsen auf feisten Triften,
Wie Salat im Hausgarten stehn.
Wenn wir auch Geschäfte haben,
Die weit fort führen
Von Seinem Licht,
Wenn wir auch das Wasser aus Röhren trinken,
Und es erst sterbend naht
Unserem ewig dürstenden Mund –
Wenn wir auch auf einer Straße schreiten,
Darunter die Erde zum Schweigen gebracht wurde
Von einem Pflaster,
Verkaufen dürfen wir nicht unser Ohr,
O, nicht unser Ohr dürfen wir verkaufen.
Auch auf dem Markte,
Im Errechnen des Staubes,
Tat manch einer schnell einen Sprung
Auf der Sehnsucht Seil,
Weil er etwas hörte,
Aus dem Staube heraus tat er den Sprung
Und sättigte sein Ohr.
Presst, o presst an der Zerstörung Tag
An die Erde das lauschende Ohr,
Und ihr werdet hören, durch den Schlaf hindurch
Werdet ihr hören
Wie im Tode
Das Leben beginnt. (Nelly Sachs)


Ein wunderschöndes Gedicht
Gestern erlernt
Hören heischend

Nur der Schluss befremdet mich
als wäre
der Sinn von Religion
auf Todesbewältigung beschränkt

ich läse lieber:

wie im Leben
Tod erfahrend
Leben neu du gewinnst

21 März 2009

Den Hohenpriester Jesus kenne ich aus meine Kindheit. Unser Pastor sprach regelmäßig das Wort vom „großen Hirten der Schafe“ (Heb. 13, 20) zur Verabschiedung der Gemeinde. Nach dem Abendmahl sangen wir Offenbarung 1, 5-6 in der Vertonung von Julius Löwen: „Dem der uns liebt und uns von unsern Sünden gewaschen hat in seinem Blut und uns gemacht hat zu einem Königtum, zu Priestern seinem Gott und Vater.“

In meinem theologischen Studium erlebte ich eine Abspaltung dieser Bildwelt. Ich las davon, dass kultisches Denken schon bei Irenäus einen Rückfall in einen vorchristlichen Status darstellt, gleichzeitig aber erlebte und las ich pietistische Predigten, die mit Nachdruck auf die Beutung des blutigen Opfers Jesu hinwiesen. Schnell wachsenden pfingstlich-cha­ris­ma­ti­schen Kirchen halten weltweit an Einsichten fest, die die universitäre Exegese überwunden zu haben meint. Derart auseinanderklaffende Denkwelten auszustehen, lernte ich durch den Deutungsmusteransatz in der Erwachsenenbildung.

Sigrid Brandt spricht in ihrer Heidelberger Habilitationsschrift von 2001 von einer modernen Konstruktion des Opferdenkens durch die Mediengesellschaft: „Die Vermittlung und der Konsum von Opferbildern erfüllt … kultische Funktionen“, laden sie konsumerisch und religiös auf „und sei es nur im Spiel“. Sie setzt dem die Rede von der Liebe Gottes entgegen und unterscheidet (mit Paulus) zwischen Opfer als sacrifice und Opfer als victim: „Das ‚Opfer’ Christi meint nicht in erster Linie Jesu Victimisierung, sondern seine leibliche (Verkündigungs-)Existenz für den Glauben der Menschen.“ (13)

Sie stützt sich zentral auf den Hebräerbrief und versteht unter dem Opfer Christi den ganzen Lebensprozess, der mit Weihnachten beginnt, seine gesamte irdische Existenz umgreift, und sich mit der „hohepriesterlichen“ Eingang in das Himmlische Heiligtum vollendet. Das Leben Jesu wird so „zum Kommunikationsorgan des befreienden Geistes Gottes“(440) Opfer bringen „überwiegend den heilvollen Zusammenhang (1) des Lebens der Menschen aus, durch und für Gott und (2) des „Lebens“ Gottes bzw. seines Namens aus, durch und für die Menschen zur Sprache.“