14 April 2009

versteh...

Manfred Oeming wurde uns empfohlen: Verstehenslehre der Bibel.
Eine große Erweiterung der Einsicht. Siebzehn verschiedene Zugänge von der historisch-kritischen Exegese bis zur Existentialen Interpretation listet er auf. Ein paar spannende Zugänge zum vorhandenen Text, auch C.S.Childs lässt er Gerechtigkeit widerfahren. Sogar ein Kapitel über fundamentalistische Bibelauslegung mit liebevoll distanziertem Blick. Er findet es bedenklich in Pfarrkonvente zu kommen, in denen der historischen Tiefendimension überhaupt keine Beachtung mehr geschenkt wird. Auf keine der Methoden möchte er verzichten, wenngleich er nahezu bei jedem Zugang ein kritisches Fündlein findet.

Ich verstehe, dass er gern in IDEA Spektrum zitiert wird: Vor allem den kritischen Zugängen begegnet er mit Ideologieverdacht: die Befreiungstheologen ordnet er in einen westeuropäisch(-dekadent?)en Zusammenhang ein; Marxistische Anleihen kann er vom ideologischen Hintergrund dezidiert nicht trennen. Immerhin die Existenz der Junia als Apostelin scheint ihm als feministisches Fündlein festzustehen. Und Bibliodrama hat er offensichtlich selbst schon praktiziert.

Die Auswahl der Methode orientiert sich am Charakter des Textes, an der Person des Auslegers, aber auch an der Anwendungssituation: eine historisch-kritische Vorlesung mit Textkritik ist im Kindergottesdienst evident unangemessen; umgekehrt ist eine Erzählung für den Kindergottesdienst im Hörsaal deplatziert. Ob Theißen mit seinem "Schatten des Galiläers" wohl jemals im Hörsaal war?

sinnvoll erscheint es mir, diachrone von synchronen Wegen zu unterscheiden. Diachron sind jene Methoden, die quer zur Zeitgeschichte stehen und den Text in seiner historischen Entstehung wahrnehmen; synchron dagegen wird der Text in seiner Endgestalt wahrgenommen, seine Sprachgewalt neu erschlossen.

informativ ist die vorsichtige Einschätzung archäologischer Zugänge: archäologische Zeugnisse und altorientalische Bilder sind in den seltensten Fällen eindeutig, sondern zumeist stark interpretationsbedürftig (61). Folglich darf man sich zur Rekonstruktion der Welt der Autoren nicht wirklich von den Texten lösen (62).

zentral erscheint mir seine viergliedrige Ordnung der Verstehensmethoden:

  1. Orientierung an den Autoren und ihren Welten (historisch, sozialgeschichtlich, archäologisch)
  2. Orientierung an den Texten und ihren Welten (linguistisch, kanonisch, existential)
  3. Orientierung an den Rezipienten und ihren Welten (wirkungsgeschichtlich, tiefenpsychologisch, symbolisch, feministisch und befreiungstheologisch)
  4. Orientierung an den Sachen und ihren Welten (dogmatisch, fundamentalistisch, existential)

beim ersten Lesen irritierend: Die Entscheidung des Verlags, das Litertaurverzeichnis zu kürzen: So wir dim Text ein Buch von D.Zillesen erwähnt, das man erst findet, wenn man auf der Homepage der Universität das versprochene ausführlichere Literaturverzeichnis aufruft. Nu ja: Internet lässt grüßen :)

09 April 2009

Dynamische Bibel

Der Jude Aharon Agus wird angeführt. Er habe die neue Sicht ins Buch gefasst:
Nicht ist das Neue Testament eine Fortschreibung des Alten, noch eine Auslegung mit dem Anspruch, Kombinationen 1:1 zusammen zu führen. Vielmehr ist schon im Judentum eine Form der Schriftauslegung gepflegt worden, die sich dann in christlicher Zeit fortsetzt: Dynamische Schriftauslegung.

Das ist eine lebendige und lebensnahe Deutung von Gotteserfahrungen auf dem Hintergrund bereits schriftlich festgehaltener Früherer. Aber nicht nach dem Motto: „damals wurde etwas versprochen - jetzt wird es eingelöst“, sondern so, dass die alten Worte durch die neue Erfahrung anders geordnet, neu bezogen und zusammengestellt werden. Es entstehen stets neue Deutungen aus dem Alten heraus, von ihm mit Worten ausgestattet, aber in vollkommen neuer Gestalt. Klar: was heute passiert, ist ja noch nie dagewesen.

Es war noch nie dagewesen, dass einer im Judentum als Träger von Sünde wahrgenommen wurde. Im Grunde auch für das positive Gottesbild unerträglich: dass da Einer ins Totenreich hinab fährt, in die Verbannung der Unkenntlichkeit, geschlagen und gezeichnet mit allen Zeichen eines Geächteten; und dennoch bleib Gott ihm nah. Dynamische Schriftauslegung zur Zeit des Jesaja.

Es war eigentlich unvorstellbar, dass Gott sein Volk so der Fremdherrschaft ausliefert, wie zur Zeit der Assyrer, Griechen und Römer. Daniel erkennt dies als politische Katastrophe und hofft politisch auf den „Menschensohn“; der Psalmist betet ein persönliches, individuelles Gebet, und prägt dort die Erwartung eines Heilandes.

Es war noch nie dagewesen, dass Einer im Judentum als Gegenwart Gottes erfahren wird; jetzt haben sie es erfahren. So entstand die christliche Deutungsgemeinschaft: völlig legitim innerhalb des Judentums. Erst später wurde sie zur eigenen Religion ausgesondert; aber immer mit dem Nimbus einer größeren, besonderen Nähe zur jüdischen Mutter.

Pfingsten als genuin jüdische Gotteserfahrung, insofern die damit verbundene Irritation des strengen Monotheismus integral und genuin im Duktus jüdischer Überlieferung liegt. Das Neue Testament als eine Variante des Talmud. Jesus als politische und individuelle Erfüllung einer politischen und privaten Hoffnung, die im Judentum vorgespurt war; und eben nicht die individualistische Zuspitzung eines zuvor rein völkisch ausgerichteten Religionssystems.

Neuer Jesus

Da gibt es ein neues Bild von Jesus. Er ist nicht mehr der held des Individualismus, der dem Kollektivismus trotzt und gegen das Gesetz opponiert. Evangelium ist, dass Jesus gekommen ist, nicht aber dass er den einzelnen ins Zentrum setzt.

Die Individualisierung der Religiösen Frage fand sich schon im Judentum. Und zwar parallel zur geschichtlichen Hoffnungslosigkeit. Dort die Erfahrung, dass gegen Perser, Griechen und schließlich die römische Besatzungsmacht keine Hoffnung zu erwarten sei; hier das Scheitern des Einzelnen angesichts des Textes. Beides spiegelt sich in jüdischen Quellen: Das Politische eher in der Apokalyptik; das Individuelle eher in solchem Liedgut wie den Psalmen Salomonis. Die Erwartung eines Messias, der in beiden Sphären "Erlösung" bringt, wurde so im Judentum herausgeprägt.

Das Neue ist die Deutung der Begegnung mit der Person Jesus als eben diese Gotteserfahrung. Das Christentum ist insofern noch voll und ganz jüdische Auslegungstradition, als es dort durchaus üblich war, die Schrift im Licht neuer Gotteserfahrung neu zu deuten. Aber mit dieser Identifikation fand innerhalb des Judentums eine derart massive Veränderung statt, dass die neue Richtung abgespalten worden ist. Die Entstehung des Christentums als genuin jüdischer Vorgang? - spannend