18 Juli 2009

Paulus - der erste Moderne Christ

1. Nulloption „Windmühlen“

Liebe Gemeinde,

den Ritter von der traurigen Gestalt kennen Sie: Vielleicht als Comicfigur, aus Filmen, manche sogar aus den beiden Büchern, die Miguel Cervantes geschrieben hat: Don Quichotte.

Erzählt von einem modernen Menschen, der sein Leben selbst in die Hand genommen hat. Er hat sich zu einem originellen Lebensentwurf entschieden: anhand der Ritter-Romane, die er gelesen hat. Er wollte so gern ein Ritter sein. So ließ er sich eine Rüstung anpassen und seinem Klepper auch einen Satz Beinschienen. Und dann zog er hinaus in die Welt, um gegen andere Ritter zu kämpfen, die es nicht mehr gab.

Am Ende fand er dann noch einen einzigen, der mit seinen vier Sicheln durch die Luft fuchtelte: Don Quichotte kämpft mit den Windmühlen.

Paulus ist kein Don Quichotte gewesen. Paulus war ein Moderner von anderer Qualität. Ihm hab ich meine Predigt zum Paulus gewidmet: „Paulus - der erste moderne Christ.“

2. Paulus ist uralt

  • das erste Mal, dass Paulus in der Bibel auftritt, steht er auf der anderen Seite. Es heißt, er sei dagestanden und habe die Kleider der Menschen bewacht, die den Diakon Stephanus gesteinigt haben. Stephanus war Armenpfleger der jüdischen Christenge-meinde. Er war unbeliebt bei jenen Juden, die nicht an Jesus glaubten. Sie hatten sich zusammengerottet und ihn zu Tode gemobbt. Und es heißt, dass Stephanus, kurz bevor er unter dem Hagel von Steinen starb, über sich den Himmel offen stehen sah.
  • auch Paulus hat den Himmel offen gesehen. Er war in Rage geraten und wurde an-gehalten. Die Vernichtung der jüdischen Sekte wollte er weiter führen: Mit Ermächtigungsbriefen ist er nach Damaskus geritten, um dort die Christen in die Schranken zu weisen. Kurz vor Damaskus kam Christus über ihn. Die einen sagen, es war ein helles Licht, die andern hörten eine Stimme und sahen nichts. Saulus, wie Paulus damalsnoch hieß, fiel geblendet vom Pferd. Es brauchte einen ehrenwerten Ältesten aus Damaskus, der ihm die Hände auf legte, und die Blindheit vollkommen heilte.
  • die Tragik seines Lebensgeschicks läst sich am besten mit einer Geschichte beschreiben: Als Jude wurde Paulus angeklagt, weil er Nichtjuden in die Gemeinschaft hineinließ. Er sollte zum Tode verurteilt werden, da brachte er seine zweite Identität ins spiel: Ich bin nicht nur Mitglied des Jüdischen Volks; ich habe auch die römische Staatsbürgerschaft - Gerettet vom Galgen musste er jetzt als Gefangener des Kaisers nach Rom reisen. Diesem Umstand verdanken wir eine der schönsten Seemannsgeschichten in der Heiligen Schrift. Mit dem Schiff wurde er nach Rom expediert, hat als Gefangener Schiffbruch erlitten, wurde auf Malta gerettet, erreichte die kaiserstadt. Wahrscheinlich ist er als Gefangener, oder kurz nach seiner Freilassung in Rom gestorben.
  • "eingekerkert und doch frei", das ist typisch Paulinisch: Einmal sogar, da erschütterte ein Erdbeben sein Gefängnis. Paulus hatte die Freiheit, im Gefängnis zu bleiben. Als Gefangener hat er einige der schönsten Texte geschrieben, die uns in der Bibel überliefert sind.

3 Zenit der Zeit

Petrus war vor ihm gewesen. Der schwankende Felsen auf den Jesus seine Kirche bauen sollte, hatte zuerst erkannt, was eigentlich schon immer Gottes Ziel gewesen ist: dass auch Nichtjuden zu Gott kommen dürfen. Petrus hatte jene Vision von unreinen Tieren, die in einem Leintuch vom Himmel herab gelassen wurden. „Was ist als rein erklärt habe, das sollst du nicht für unrein befinden“, hatte die Stimme Gottes erklärt. Petrus hatte Gemeinschaft mit Heidenchristen. Aber dann hat er geschwankt, als seine früheren Freunde kamen. Sitte und Brauchtum und das geschriebene Gesetz waren ihm wichti-ger. Paulus hat ihn kritisiert: Neue Zeiten fordern neues Denken. Bei Gott ist nichts unmöglich. Alte Gräben werden überbrückt. Unser Glaube ist innovativ.

Während Petrus die Treue zur Thorah festhielt, waren für Paulus die neuen Menschen wichtiger: Menschen-Treue statt Buchstabentreue, das macht lebendigen Glauben aus.

Paulus ist kein Don Quichotte.
Paulus übersetzt den Glauben in die neue Welt
Und bündelt damit die alten Kräfte in einer neuen Ausrüstung.

Er transformiert in einem neuen Anlauf ein altes Thema und schreibt im 1. Korintherbrief:

Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unsre Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich. Wir würden dann auch als falsche Zeugen Gottes befunden, weil wir gegen Gott bezeugt hätten, er habe Christus auferweckt, den er nicht auferweckt hätte, wenn doch die Toten nicht auferstehen. Denn wenn die Toten nicht auferstehen, so ist Christus auch nicht auferstanden. (15, 14-16)

4 Versuch eines Axioms

Ein Gedicht illustriert die Zaghaftigkeit dieses Glaubens (CD "Auferstehung" von Janus)

  • Alles beginnt von vorn:

    Die Trauer, die uns lähmt
    das Leiden, das uns zähmt
    die Lügen, die uns brechen
    die Illusionen, die Versprechen
    die große Hoffnung, die sich nie erfüllt
    ein ferner Gott, der sich in Schweigen hüllt
    das lange Warten auf den neuen Tag
    ein trübes Zwielicht, das nie enden mag.

    Das Hoffen und das Sehnen
    die Trauer und die Tränen
    das Trennen und das Scheiden
    die Lügen und das Leiden
    das Stolpern und das Fallen
    das Klammern und das Krallen
    die Masken und das Lachen
    alles, alles beginnt von vorn.

    Der Phönix steigt aus der Asche
    schwingt sich hinauf ans Licht
    Seine Federn fangen Feuer
    sein Leib zerbricht.

    Der Phönix steigt aus der Asche
    thront hoch oben auf dem Lügenberg.
    Sein Tod, ein grelles Feuerwerk.
    Wir feiern unsere Auferstehung...

5 Aufstand als Auferstehung

  • was ist der Mensch, dass du seiner gedenkst, und des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst? - heißt es im 8ten Psalm
  • merk auf mein Schreien, vernimm mein Gebet von Lippen, die nicht trü-gen. - betet der 17te Psalm und fährt dann fort:
  • Behüte mich wie einen Augapfel im Auge, beschirme mich unter dem Schatten deiner Flügel vor den Gottlosen, die mir Gewalt antun, vor meinen Feinden, die mir von allen Seiten nach dem Leben trachten.
  • Warum verfolgt ihr mich wie Gott und könnt nicht satt werden von mei-nem Fleisch? - klagt der Dichter im Buch Hiob, und er fährt fort:
  • Ach daß meine Reden aufgeschrieben würden! Ach daß sie aufgezeich-net würden als Inschrift, mit einem eisernen Griffel in Blei geschrieben, zu ewigem Gedächtnis in einen Fels gehauen!

So hat sich der Glaube an eine Auferstehung in jüdischer Zeit schon entfaltet, wurde allmählich zu einer Erkenntnis, die unabwendbar geworden ist.

  • Aber ich weiß, daß mein Erlöser lebt, und als der letzte wird er über dem Staub sich erheben. Und ist meine Haut noch so zerschlagen und mein Fleisch dahingeschwunden, so werde ich doch Gott sehen. Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.

Der alte Simeon im Tempel hat diese Hoffnung aufgenommen, als er den neugeborenen Jesus auf die Arme nahm.

  • Nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren, denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen.

Und im Buch Hesekiel entwickelt sich daraus eine regelrechte geistvolle Phantasie, die an die Praxis der Taufe erinnert:

  • Ich will reines Wasser über euch sprengen, daß ihr rein werdet; von all eurer Unreinheit und von allen euren Götzen will ich euch reinigen. Und ich will euch ein neues Herz und einen neuen Geist in euch geben und will das steinerne Herz aus eurem Fleisch wegnehmen und euch ein flei-schernes Herz geben. Ich will meinen Geist in euch geben und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln und meine Rechte halten und danach tun.

Und in der Vision vom Totenfeld beschreibt er in surrealistischer Manier:

  • ich weissagte, ... Da kam der Odem in sie, und sie wurden wieder leben-dig und stellten sich auf ihre Füße, ein überaus großes Heer. Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, diese Gebeine sind das ganze Haus Is-rael. Siehe, jetzt sprechen sie: Unsere Gebeine sind verdorrt, und unsere Hoffnung ist verloren, und es ist aus mit uns. Darum weissage und sprich zu ihnen: So spricht Gott der HERR: Siehe, ich will eure Gräber auftun und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf und bringe euch ins Land Israels.
    Da wird die Hoffnung von Individuen mit der Hoffnung des ganzen Volkes zusammen-gerückt.

6 Das Gelächter der Verächter

Nicht Rechthaberei, sondern Glaube.
Nicht Logik bestimmt diese Wissenschaft, sondern Geist.
Kein weltumspannendes Gedankengebäude,
sondern Versuch und Irrtum prägen das Denken.

Nicht Statik, sondern Bewegung.
Nicht Dogmatik, sondern Anbetung.
Nicht die Vergangenheit, sondern ein lebendiger Geist,
nicht Ordnungen sondern Phantasie schafft neues Leben.

Kein Behaupten, sondern Denken.
Kein Berechnen, sondern Schenken.

Als Paulus auf dem Tempelberg der griechischen Hauptstadt Korinth von seinem Glau-ben an die Auferstehung anfing, da ließ man ihn vornehm-freundlich abblitzen:
„Wir wollen dich ein andermal darüber anhören“, hieß es ironisch;
Auf deutsch: „Was du da sagst, ist doch ein wenig verrückt;
wir haben im Moment keine Lust, uns damit zu beschäftigen.
In das Weltbild der Philosophie passt Auferstehung nicht.
Das sollten auch wir uns ganz hübsch zu Herzen nehmen.
Auferstehung ist keine Theorie, sondern eine Hoffnung,
die auch der intellektuellen Ironie widersteht:
eine Hoffnung, die weiter trägt,
über den Horizont hinaus.

Eine durch und durch moderne
Schau von dir selbst
und von der Welt.

Nicht das Gelächter der Verächter bestimmt dein Leben.
Gott will dir neue Hoffnung geben.

Nicht das Gelächter der Verächter bestimmt dein Leben.
Gott will dir neue Hoffnung geben.

7 Vom Frust zur Freiheit

Dein Leben beginnt mit deiner Geburt.
Und es endet mit dem Tod.
Schule und Kindergarten,
Hochzeit und Konfirmation,
Karriere und Berufsausbildung sind Stationen auf einem natürlichen Weg.
Und wenn du über die Fünfzig bist, wie ich, macht die Depression sich breit:
„Ist das schon Alles gewesen!?“

Dabei war es doch immer ein Abenteuer gewesen, ob du überhaupt
das Klassenziel erreichst, die Abschlussprüfungen bestehst,
die Stelle erhältst, die Arbeit fristgerecht ablieferst.
Stationen in der Lebenszeit, die uns Spannung
und allzu oft auch Frust bereitet haben.

Mit der Auferstehung kommt ist neue Zeitansage in dein Leben eingetreten.
Du lebst nicht nur „von der Wiege bis zur Bahre“.
Du lebst von Ewigkeit zu Ewigkeit.
Du schuftest nicht nur für den Augenblick,
du lebst aus einer Kraft, die den Moment übersteigt.
Und wenn du einmal gescheitert bist,
dann gibt es immer eine zweite Chance, eine dritte, eine Vierte.
Nach jedem kleinen Tod bietet sich ein neues Leben.

Auferstehung meint nicht in erster Linie, dass nach dem Sterben
irgend etwas weiter geht - doch das auch,
aber Auferstehung heißt in aller erster Linie,
dass dieses Leben eine Chance erhält,
dass ein Scheitern nie das Ende ist
und dass Gott auch die schönsten
Momente noch verfeinert.

Amen.

16 Juli 2009

Was hindert Kirche, sich zu verändern und zu bewegen?

Wer betet, will zunächst die Augen schließen und ganz bei Gott sein. Sein Reich - so dünkt uns - sei etwas ganz Besonderes: eine Ära, die mit unserem mühsamen Alltag nicht verfilzt sein darf. Wir singen eine andere Art von Liedern, treten in einen anderen Raum, wenn wir den Gottesdienst betreten, sprechen eine Sprache, die sonst nicht gesprochen wird. Wir lasen Gefühle spielen, die uns aus dem Allltag heraus erheben. Das bietet einen therapeutischen Frei-raum; wir dürfen die entlastende Funktion dieser Trennung nicht gering schätzen.

Aber dann gibt es Menschen, die interessieren sich für diese Form von Religion überhaupt nicht mehr, weil sie so von ihrem Gefühlsleben so weit entfernt ist. Die „old time religion“, der Glaube früherer Tage findet keine Brücke mehr zu unserem Leben. Väter nehmen ihre Kinder lieber mit auf den Fu߬ball¬platz. Die Musik unserer Kinder unterliegt jährlich wechselnden Moden, gesungen wird allenfalls noch mit Karaoke. Wenn diese Menschen wieder zur Kirche kommen, dann ist die Distanz groß geworden. Fremd geworden sind sowohl die alten wie die neuen Lieder.
Der Heidelberger Theologe Fritz Lienhardt berichtet von einer Untersuchung über Christen, die am Gemeindeleben nicht mehr teilnehmen. Dort wurde festgestellt, dass diese Menschen überhaupt nicht begeistert sind, wenn Kirche sich verändert. Wenn sie nach drei oder dreizehn Jahren - wegen einer Hochzeit oder Taufe - oder zu einem Weihnachtsfest zur Kirche zurück kehren, soll möglichst Alles so sein wie früher. Er zieht daraus die Konsequenz: Eine lebendige Gemeinde, die ein pulsierendes Leben vorweist und sich ständig verändert, kann die Langeweile vertreiben; dem Wiederge-winnen distanzierter Christen dient die Modernisierung nicht. Wer nur zu bestimmten Anlässen religiös aktiv wird, trägt den Sa-men jenes emotionalen, hochreligiösen Konservatismus in sich - ist ein potentieller Bremser. So kommt es zum Konflikt: Hier eine kleine Zahl engagierter Christen, die sich stetig vom Glauben verwandeln lassen, dort die große Masse konservativ Gesinnter. Pfarrer und Älteste stehen dazwischen, tragen teilweise gar die Spannung in sich, werden bestenfalls blockiert, schlimmstenfalls jedoch aufgerieben.
Während in lebendigen Gemeinden der sonntägliche Kirchgang die Regel ist, hat es sich in unserer Kirche eingespielt, dass selbst verantwortliche Mitarbeiter vierzehntägig zur Kirche gehen, oder noch seltener. Das ist ein Ausdruck evangelischer Freiheit; und diese Freiheit verlangsamt den Prozess des gemeinsamen Lernens. Ich glaube, dass wir in der evangelischen Kirche weitere Treffpunkte neben dem Gottesdienst brauchen: Nicht allein zur Geselligkeit, sondern auch zum geistlichen Gespräch.
Wenn sich möglichst viele Menschen am Gemeindeleben beteiligen, bedeutet dies für alle, die in der Gemeindeleitung tätig sind: Wir müssen umlernen, eine neue Kultur der gegenseitigen Begeisterung entwickeln und miteinander reden! Nicht dass wir uns dem Zeitgeist ausliefern: Aber eine lebendige Gemeinde muss am Puls der Zeit liegen und immer wieder Brücken bauen vom Alltag ins Heiligtum und zurück.

06 Juli 2009

Erträge

Aus Exegese und Kirchengeschichte, Soziologie und Kulturanthropologie, aus der Lebenswelt meiner Mitarbeiter und Mitchristen ebenso wie aus den Denkbewegungen abstrakter Philosophie erfahre ich neuen Mut und viele Anregungen, meine Arbeit als Geistlicher in Kirche und Gemeinde weiterzuführen.

Ich freue mich neu auf das Wirken des Geistes in der Gemeinde der Getauften und möchte die Gemeinschaft vor Ort ebenso ernst nehmen wie die selbstkritischen Impulse der Theologie. Das Evangelium birgt ein großes Potential, sich selbst in Neues einzufügen, und es gibt Ant-worten auf moderne Fragen, erstaunlicherweise auch im Rückgriff auf alte Traditionen. Diese Entdeckungsreise macht Spaß; ich hoffe, ich kann die damit verbundene Freude weitergeben.

Dass ich ausgerechnet zu dem Buch von Richard Reininghaus über Hauskreise gegriffen habe, liegt wohl darin begründet, dass ich mich schon lange mit der Frage beschäftigt, wie in der Volkskirche eine fundierte Bibelfrömmigkeit gepflegt werden kann. Ich konnte während des Kontaktstudiums zweimal an einem Hauskreis teilnehmen, der deutlich von der Tradition der Evangelischen Akademikerschaft geprägt ist. Ich stamme aus einer Gemeinde, die von der wöchentlichen Bibelstunde geprägt war. Ob der Hauskreis eines Pfarrers eine Mischform wird, möchte ich gerne sehen.

Predigen werde ich - im Nachgang zum Paulusjahr bereits angekündigt - über die Auferstehung nach 1. Korinther 15; die neue Perspektive auf Paulus wird hier auf jeden Fall einflie-ßen. Und für die Prädikanten des Kirchenbezirks werde ich eine Andacht zum Torgauer Kan-zelrelief halten. Angeregt von diesem Predigttext könnten wir vielleicht auch die Tradition der Kirchweih neu in der Gemeinde aufgreifen.

Die Bultmann-Biographie werde ich mir zu Weihnachten wünschen, die Parallaxe von Žižek weiter studieren, und natürlich die Exegese des Hebräerbriefs weiterführen! Was im Alltag der Gemeindearbeit davon zu bewältigen ist, kann ich noch nicht einschätzen; ein wöchentli-cher Studientag lässt sich als voller Kalendertag nach meiner Erfahrung nicht organisieren. Vielleicht kann ich ab und zu einen Fernsehabend durch Studium ersetzen.

Für Badische Pfarrer müsste eine Möglichkeit eröffnet werden, an den Denkvorgängen der Fakultät per eLearning teilzunehmen. Die Vorlesung Lienhardt’s zum EKD-Positionspapier „Kirche der Freiheit“ habe ich im Elektronischen Semesterapparat verfolgen können. Als Kontaktpfarrer haben wir einen Abend lang mit dem Dozenten, und beim Bischofsgespräch über die Badische Rezeption im Leitbildprozess diskutiert. Die Begegnung mit Herrn Lienhardt hat mich ermutigt, in meinen beiden Pfarreien weiter einer Milieuverengung entgegenzuwirken; auch auf dem Lande kann hier meines Erachtens arbeitsteilig vorgegangen werden.

Einer der Lehrvikare, der an meiner Umfrage zur Predigt mit dem Hebräerbrief teilgenommen hat, schrieb im Blick auf die schwer verständlichen Passagen dieses Briefes „es wäre schade, wenn man diese Klippen umschifft und nicht auf diesen Inseln anlegt um sich umzusehen. Mag sein, dass man schnell wieder ablegt. Die Erfahrung nimmt man trotzdem mit.“ Das Kontaktstudium war für mich eine solche Insel.

Ich habe gerne angelegt.

Sacrificium, Victim und Offertium

Eine dreifache Differenzierung des deutschen Opferbegriffs hat Walter Sparn (NZSyTh 50, 2008) vorgelegt. Alle drei begrifflichen Nuancen haben in der kirchlichen Praxis ihren Ort.
  1. Die Deutung des Opfers Jesu als Sacrificium antwortet auf die die ungelöste und unlösbare Frage zwischenmenschlicher und religiöser Verfehlung. Das ethische Dilemma dass wir töten müssen, um in der Nahrungskette zu überleben, hat schon in der menschlichen Vorgeschichte Opferrituale hervorgebracht. Hier kann die Abendmahlsfrömmigkeit das Eph Hapax des Heb-räerbriefs betonen als Verweis auf ein grundlegendes, im Himmel vollzogenes Geschehen.
  2. Die Deutung des Opfers Jesu als Victim in Solidarität mit anderen, umgangssprachlich begriffenen Opfern (der Globalisierung, des Verkehrs, sexuellen Missbrauchs etc.) muss aus ethischen Gründen thematisiert, darf jedoch nicht mit den anderen Verständnissen des Opfers vermischt werden. Das Eph Hapax des Hebräerbriefs gehört als Abwehr aktualer Victimisierungen vor allem in die Predigt und in die Ethik.
  3. Die Deutung des Opfers Jesu als Offertium kommt meines Erachtens sehr schön in einer Liturgie der Church of South India zum Ausdruck, die vor wenigen Jahren von der Badischen Landeskirche verteilt wurde: Vor dem Abendmahl findet eine Kollekte statt, die dann gemeinsam mit den Abendmahlselementen und einer Schale Blütenblätter auf den Altar getragen wird. Die Bezüge zur Heilgeschichte über den Palmsonntag hinaus sind in der protestantischen Volksfrömmigkeit weitgehend unterbelichtet. Mit Sigrid Brandt würde ich gern betonen, dass die Lebenshingabe Jesu mit Weihnachten beginnt und in die Neuschöpfung mündet. Die Gemeinde als Offertium spreche ich dankbar an, wenn ich im Abendmahl das „Ihr seid der Leib Christi“ betone und das Kreuz nicht (nur) über den Elementen, sondern über der Gemeinde schlage.

Kultmetaphorik

War die christliche Gemeinde ursprünglich im Haus verortet, so teilt sie dieses Schicksal mit der jüdischen Gemeinde, die sich sowohl im Tempel als auch im Gegenüber zum Tempel organisiert; die Synagoge entstand möglicherweise aus drei oder vier unterschiedlichen Traditi-onen; genannt werden - mit unterschiedlichen Plausibilitäten: das „Haus“, das Tor, die Versammlung der Standmannschaften, der hellenistische Verein. Jede dieser drei Größen hatte eine eigene Funktion, bildete im Lauf der Geschichte einen eigenen Umgang mit dem Kultus aus und bot unterschiedliche Formen kultmetaphorischer Deutung: Nicht nur in Verarbeitung der Ereignisse des Jahres 70 n Chr, sondern schon zuvor, bedingt durch unterschiedliche Dis-tanz zum Jerusalemer Tempel, an dem sich der Gottesdienst zentralisierte, und auf den sich das kultische Denken bezog.

  1. Der Tempel mit dem Schwerpunkt Opfer und der Möglichkeit zu Lehre, persönlichem und öffentlichem Gebet Sowie dem Gesang der Standmannschaften.
  2. Die Synagoge mit den Schwepunkten Thoralesung und Unterweisung und der Möglichkeit zum Öffentlichen Gebet, dem Gesang der Standmannschaften, eventuell auch Mahlfeiern anlässlich besonderer Feste; aber auf jeden Fall: Keine Opfer
  3. Das Haus mit dem regelmäßigen Deipnon/Symposion und der Möglichkiet zu Almosen, Fasten, Beten, Gemeinschaft (1. Kor 11), Thora-Observanz, Unterweisung. Hier fand auf keinen Fall irgend ein Kultus statt.

Mahlfeiern, wie Jesus sie mit seinen Jüngern häufig gefeiert hat, haben ihren Ort im „Haus“; selbst das Passahmahl hat in sich keinen kultischen Charakter, wenngleich dieses Mahl die innigste Verbindung zwischen Kult und Hausfrömmigkeit im Judentum aufwies: Die Lämmer zum Passahfest waren zuvor im Tempel geschlachtet worden. Die Lesung von Thora und Propheten nach einem festen Lesezyklus gehören in die Synagoge, die in Palästina ursprünglich vor allem Ort der Lehre und des Lernens gewesen ist. Zwar überschneiden sich die Funktionen der drei Sozialgestalten; dennoch sind klare Zuordnungen und Ausschlüsse zu beschreiben.

Bei Wegfall des Tempelkults ergeben sich verschiedene Optionen. Das Christentum als jüdische Bewegung hat daran Anteil gehabt:

  1. Der Vollzug des kultischen Tempelopfers wird in eine unbestimmbare Zukunft projiziert („eschatologisch“ oder als Naherwartung „übers Jahr in Jerusalem“)
  2. Die Gemeinde ersetzt kultisches Denken durch ethische Implikationen der Kultkritik.
  3. Kultische Elemente im „Haus“ vermischen sich mit der magisch-sakramentalen Vergegenwärtigung (des Kaisers) beim hellenistischen Symposion.
  4. Elemente der Hausfrömmigkeit tauchen in der (christlichen) Synagoge auf (so etwa das deipnon).
  5. Hausgemeinde und Synagoge bleiben erfolgreich resistent gegen kultischen Vollzug, transformieren diesen jedoch:
    a. zu einem Wortgeschehen
    b. zu einem himmlischen Geschehen
    c. zu einem ethischen Vorgang

Die Metaphorik scheint so stabil gewesen zu sein, dass wir der Annahme folgen müssen, dass diese Bildwelt eine menschliche Grundbefindlichkeit anspricht, die durch nichts zu ersetzen ist. Dies jedoch mit RENÉ GIRARD in einem Urmythos zu begründen, der die Gesellschaft im Opfer konstituiert, scheint mir mit der biblischen Urgeschichte nicht vereinbar. Im christlichen Kultus muss Schöpfung und Neuschöpfung dem Agnus Dei voraus gehen. Das hat Auswirkungen auf die Abendmahlsfrömmigkeit ebenso wie auf das Verständnis des Opfers als Sacrificium, Victim und Offertium.

Freude an der Predigt

„Was könnte Ihnen helfen, mit (mehr) Freude über Texte des Hebräerbriefs zu predigen?“ Ursprünglich eingeführt, um den Teilnehmern der Umfrage eine Fortbildung in Aussicht zu stellen, löst ein zweiter Blick die Frage nach den emotionalen Implikationen der gesamten Umfrage aus: Welche Effekte löst es aus, wenn der Begriff der „Freude“ in den homiletischen Umgang mit biblischen Texten eingeführt wird?
Insgesamt erscheint die Predigtarbeit als ernste Tätigkeit. Selbst Kreativität ist anstrengend: nicht nur beim Hebräerbrief erlebt einer der Exegeten das „Stöhnen über die Begrifflichkeit“. Wenn die Predigt dann anschaulich geworden ist, stellt sich mit dem Gefühl des Gelingens ein - mit Freude immerhin verwandtes - Glück ein.
Es gibt Lieblingstexte im Kanon, die nicht so sperrig sind, und wer sich der Herausforderung stellt, erlebt dass „aus dieser Spannung … Spannendes entstehen“ kann: Mehr als bodenständige „Zufriedenheit“ löst dies eine freudige Erwartung aus.
Diese Beispiele spiegeln die Grundbefindlichkeit der Prediger: Zeitlich überwiegt die harte Arbeit am Text; die Freude am Vortrag des gelungenen Werks hält für den Augenblick. Die Freude des Evangeliums leuchtet aus Gründen des Berufsethos und der kreativen Anstren-gung nur kurz auf und dominiert die berufliche Erfahrung nicht.
Tief im kultischen Sprachgebrauch geerdet ist einer der Prädikanten, der in sich „selbst … genug Freude, die Herausforderungen des Hebräerbriefs anzugehen“ findet, und in dem „sich selbst hingebende(n) Gott in Christus für seine Menschen“ die „großartigste Botschaft“ sieht. Mit einem Aufmerksamkeit heischenden und zu gleich jubelnden Ausrufezeichen endet seine Stellungnahme: „Das ist Liebe pur!“ Eingebettet in die Erlösungsbedürftigkeit des Menschen erlaubt er sich, emotionale Affekte der Freude anklingen zu lassen. Hier tritt - neben die Glückserfahrung kreativen Ringens und exegetischen Erfolgs - eine theologische Notwendigkeit von Freude, die motivierend den kreativen Prozess von Anfang begleitet.
Die Idee, dass Predigt beim Prediger Lust erzeugt, und die zwanzig Minuten des Predigtvortrags Motivation für eine vorlaufende Anstrengung bieten, habe ich - unter anderen Vorzeichen - neu entdeckt.

Erweiterung der Milieuperspektive

Mit den Milieuforschungen von Schulze und vor allem den Studien des SINUS-Instituts habe ich mich bereits in meiner Magisterarbeit zum Abschluss des EB-Studiums im Jahr 2003 befasst. Dass kirchliches Handeln zwei Drittel unserer Gesellschaft ausblendet und sich im Wesentlichen in drei der elf Milieus wiederfindet, wird sowohl von evangelischer als auch von katholischer Seite mit unterschiedlichen Schlussfolgerungen problematisiert. Milieubeschreibungen dürfen allerdings keine statischen Festlegungen bewirken; sie haben heuristischen Charakter als Orientierungshilfen. Die zunehmende Verarmung im Zuge der Finanzkrise und die schnelllebige Transformation gesellschaftlicher Werte erfordern eine ständige intensive Aktualisierung. Angesichts des damit verbundenen hohen Forschungsauf-wands erscheint mir ein Ergebnis aus den Beobachtungen der Frankfurter Empirischen Theo-logie wichtig:
Da Milieus keine festen Gruppen darstellen, driften die Befragten möglicherweise allein auf Grund der religiösen Fragestellung in ein anderes Milieu. Dass Menschen ihr Sprachspiel und den damit verbundenen Wertekanon spontan verändern, sobald sie auf religiöse Themen angesprochen werden, hat sich in Umfragen zur religiösen Alltagskultur (Empirische Theologie) gezeigt. Professor Lienhardt wies auf eine entsprechende Studie aus Frankreich hin: mit zu-nehmender Kirchen-Distanziertheit werden die Muster konservativer. Auf jeden Fall verän-dern sich die Menschen mit der religiösen Fragestellung der Befragung. Ich ziehe daraus eine doppelte Schlussfolgerung:

  1. Religionssoziologische Befragungen konstruieren möglicherweise ein andere Zusammensetzung, oder sogar ein neues Spektrum gesellschaftlicher Milieus.
  2. Religiös befragt geben die Menschen andersartige Auskünfte; so kommt es im Subjekt zu Divergenzen zwischen religiöser und nichtreligiöser Alltagskultur.

Soziologie als Fremdsprache der Praktischen Theologie

Eine Chance zu einem Intensivkurs in Religionssoziologie ergab sich für zwei Kontaktpfarrer und zwei Studentinnen am Lehrstuhl für Kirchentheorie. Der Dozent Manfred Ferdinand bot eine Übung „Gemeinde wahrnehmen“ an. Die kleine Zahl von Teilnehmenden bewies, dass die Soziologie als Fremdsprache (Lienhardt) der Praktischen Theologie von den Studenten noch kaum wahrgenommen wird. Die Veranstaltung galt als Pilotprojekt für eine künftige universitäre Begleitung des obligatorischen Gemeindepraktikums. Unbeschadet dieser begrüßenswerten Entwicklung bietet Manfred Ferdinand auch weiterhin jedes Semester religionssoziologische Veranstaltungen an: Aus meiner Sicht ein Fortschritt in der gegenwärtigen Theologenausbildung, an dem ich unbedingt teilhaben wollte.
Neben Ansätzen einer kultursoziologischen Transformationstheorie (Wilhelm Gräb) beschäftigte uns die Grounded Theory in der Vermittlung des Religionssoziologen Hubertus Knob-lauch und die Erkenntnisse der Neuen Frankfurter Schule der Theologie (Dinter, Heimbrock, Söderblohm). Zum Einstieg befasste wir uns mit den Ansätzen vorhandener religionssoziologischer Umfragen: Neben der Kinderstudie von World Vision und dem Religionsmonitor von Bertelsmann standen auch die Visitationsfragebögen unserer Kirche und die neusten EKD-Erhebungen am Horizont. Einen Ausblick auf das Forschungsprojekt „Religiöse Erwartungen“ erhalten wir zum Abschluss des Kurses.
Eine willkommene Ergänzung bot schließlich der Hinweis von Professor Lienhardt, der uns im Auswertungsgespräch auf die soziologischen Erklärungsansätze von Detlef Pollack zur besonderen religiösen Lage in Ostdeutschland hinwies: Ein Landstrich, dessen Bevölkerung schon vor der kommunistischen Ära zur Staatskirche auf Distanz gegangen war, in dem das kirchliche Teilnahmeverhalten trotz der Minderheitensituation „volkskirchlich“ distanziert, die Struktur parochial geblieben war, dessen Menschen die Kirche nach der Wende von 1989 zunächst über den Steuerbescheid begegnete, und das - im Unterschied etwa zum katholi-schen Polen und zu Russland - nach der Wende keine Wiederbelebung der Religion erlebt hat. Hoffnungsvoll ist hier lediglich eine kleine Gruppe Jugendlicher und junger Erwachsener (Pollack/Pickel, Religiöser und kirchlicher Wandel, 2000, S. 23) die sich durch hohe Motivation und Partizipationsbereitschaft auszeichnet.

Trinität jenseits von Liberalismus und Dogmatismus

Ursprünglich als Antwort auf die Kritik des Heidelberger Ägyptologen Jan Assmann gedacht war das Thema eines Blockseminars „The Triune God - a God of peace and dialogue?!“ am ökumenischen Institut der Theologischen Fakultät. Jan Assmann projiziert seine Erkenntnis über die Religionsdiktatur Pharao Echnatons auf den hebräischen Monotheismus und in der Folge auf Christentum und Islam. Eine ältere Tradition trinitarischer Theologie versucht im Gegensatz dazu, aus der innertrinitarischen Kommunikation ethische Schlussfolgerungen für das Zwischenmenschliche miteinander zu ziehen. Ich selbst habe dieses Deutungsmuster durch den Basler Systematiker Lochmann kennengelernt, der die These vertrat, Parlamentarische Demokratie sei im trinitarischen Gottesbild verankert. Ich habe allerdings einst beim Studium der Ökumenischen Dogmatik von Edmund Schlinck gelernt, dass die Ableitung „sekundärer Theorien“ aus einer dogmatisch zentralen dogmatischen Einsicht, wie sie die Trinitätslehre darstellt, in die Aporien eines Dogmatismus verfällt, also in die Probleme, die entstehen, wenn man aus einer Theorie eine zweite Theorie, eine „Theorie Zweiter Ordnung“ ableitet.
Grundsätzlich scheint mir das Gespräch über zentrale Fragen wie die der Trinität wichtig für Gemeinde, Predigt und Katechese. In der Pfarrerschaft des Kirchenbezirk Mosbach erlebten wir im vergangenen Jahr, wie Professor Härle das Thema Gemeindeaufbau mit einem Diskurs über die Trinität begann. Das Blockseminar ergab durch seine ökumenische Weite ein breites Spektrum an Einsichten zu diesem Thema. Der katholische Theologe Peter Neuner hielt das Einstiegsreferat und plädierte nicht nur für einen interreligiösen und innerchristlichen, sondern auch einen innerkirchlichen Dialog. Der Baptistische Theologe Uwe Svarat kritisierte den Denkansatz als Neuauflage einer opportunistischen Theologie, die den gesellschaftlichen Diskurs der Moderne nachträglich zu legitimieren sucht. Auch der Redner des abschließenden Hauptreferats, Nicholas Sagovsky, anglikanischer Pfarrer der Westminster-Church in London, nahm die Kritik am Dogmatismus dieses Ansatzes auf.
Aus dem Gespräch zwischen der anglikanischen und der Orthodoxen Kirche in Zypern stammt der Impuls, den Dialog nichts im trinitarisch sondern inkarnatorisch zu begründen. „The Church manifests the trinitarian life and participates in it only by being the body of Christ.” (I-27) Es sei dem Wirken des Heiligen Geistes zu verdanken, wenn sich Eigenschaf-ten Gottes auf die Gemeinschaft der Menschen übertragen.
Am Ende blieb eine Doppelstrategie unvermittelt nebeneinander stehen: Der anglikanische Hauptredner Sagovsky stellte die praktischen Erfahrungen mit tamilischen Flüchtlingen an den Anfang seines Referats als Prüfstein der Theologie; die veranstaltende Heidelberger Pro-fessorin hingegen betonte hingegen die Wichtigkeit theologischer Diskurse unabhängig von ihrem Praxisbezug. Zwei Aspekte, die sich in ihrer Paradoxie - „parallaktisch“ - ergänzen.
Den größten Gewinn zog ich persönlich aus einem der Workshops, in dem ich mich mit ei-nem Aufsatz von Professor Christoph Schwöbel befasste: „Partikularity, Universality and the Religions“. Pluralität und Identität stehen nicht mehr unvermittelt nebeneinander, sondern lassen sich in einem dynamischen Prozess aufeinander beziehen. Das interreligiöse Gespräch in gegenseitigem Respekt ist nur möglich, wenn wir das kritische Gespräch mit den Andern riskieren. Solch eine Kultur des Dialogs ohne Verlust der eigenen Identität stellt den Gewinn des trinitarischen Denkens dar.

Parallelismus

Die parallele Entstehung von Christentum und rabbinischem Judentum
Die Identifikation des Messias mit einer geschichtlichen Persönlichkeit war durchaus eine Option innerhalb des Judentums. Aber mit dieser Identifikation fand innerhalb des Judentums eine derart massive Veränderung statt, dass die neue Richtung Christentum und Judentum als zwei unterschiedliche Wege provozierte. Dies geschah jedoch in einem langsamen Distanzie-rungsprozess der beiden Bewegungen zu zwei selbständigen Religionen.
Professor Martin Poettner berichtet vom Habilitationsprojekt des ehemaligen Heidelbergers David Trobisch, der eine neue Sicht auf die Entstehung des christlichen Kanons erarbeitet hat. Entstanden im letzten Drittel des zweiten Jahrhunderts mit LXX, Evangeliensammlung, Pau-lusbriefen, Praxapostolos und Apokalypse, stellt die Kanonbildung den ersten, nicht revidier-baren Schritt zur Abtrennung vom Judentum dar. Archäologie und Liturgiegeschichte zeigen jedoch - regional unterschiedlich - bis ins vierte Jahrhundert „kreuz und quer verlaufenden Linien“ - so der Titel einer Relektüre des jüdischen Religionsphilosophen DAVID BOYARIN aus den USA - gegenseitiger Beeinflussung auf.
Die Rede von Auferstehung und die Identifikation des Messias sind als gegensätzliche Optio-nen in der gemeinsamen Wurzel des jüdischen Kanons begründet. Die Methode der „dynami-schen Schriftauslegung“, im Judentum entwickelt und vom Christentum übernommen, inter-pretiert die Heiligen Schriften bezogen auf die jeweils gegenwärtige Gotteserfahrung von In-dividuum und Gemeinde und setzt aus dieser Perspektive auch Schwerpunkte in den Heiligen Schriften; das Thema eines (flexiblen) Kanons im Kanon ist im Judentum bereits vorgegeben.
Offensichtlich handelt es sich nicht um eine Außenseiterposition; Kommilitonen berichten, dass diese These auch in der Vorlesung über die Alte Kirche aufgenommen wird. Genannt wird neben DAVID BOYARIN der Heidelberger Judaist AHARON AGUS. Nicht die Konstantini-sche Wende ist das einschneidende Datum, sondern die Erhebung des Christentums zu Staatskirche durch Kaiser Theodotius im Jahr 380 stellt die endgültige Trennung dar. Für das Verhältnis der beiden Religionen von Christen und Juden bedeutet dies, dass
  1. eine wesentlich längere Zeit von gegenseitiger Beeinflussung und gegenläufiger Ab-grenzung angenommen werden muss.
  2. In seiner rabbinischen Ausprägung ist das Judentum nicht die Mutterreligion, sondern eine Schwesterreligion der christlichen.
  3. Die Tradition der Schriftauslegung ist in beiden Religionen außerordentlich flexibel und offen sowohl für Erfahrung als auch für neue Theorie.
  4. Der Hebräerbrief als christliche Homilie hat seinen liturgischen Ort in einer Leseord-nung, die sich als christliche an die synagogale anlehnt, als Homilie zu Tischa-be Aw.

Parallaxe

Neue Philosophische Ansätze am Horizont der Theologie
Parallaxe ist das Zauberwort, mit dem Slavoj Žižek durch die Geschichte des Geistes und der Theologie zieht. Das Buch erhielt ich kurz vor Beginn des Kontakstudiums und werde es noch weiter lesen. Hier begegnet mir ein philosophischer Ansatz, der die wertvollsten Denk-bemühungen des Christentums auswertet und mit einem neuen Modell der Paradoxie er-schließt. Slavoj Žižek ist einer der vier Denker, der sich - neben Badiou, Agamben und ande-ren mit der Theologie des Apostels Paulus auseinandersetzt. Ich fand es anregend, dass Professor Schwier an der Universität Heidelberg auf diese modernen Ansätze aufmerksam macht.
Fasziniert bin ich davon, dass Žižek Denktraditionen aufnimmt, die ich bisher eher für kon-servativ hielt - zudem mit einem erstaunlichen philosophischen und theologischen Humor. Platons Höhlengleichnis transformiert er in eine Welt aus lauter solcher Höhlen: „der wahre Mythos ist gerade die Vorstellung, dass es außerhalb des Schattentheaters so etwas wie eine ‚wahre Realität’ oder zentrale Sonne gäbe“ (133). Die Absurdität des Atheismus schildert er mit der anekdotischen Fiktion, Nietzsche ergänze seinen Satz „Gott ist tot“ mit der Bemer-kung „Und übrigens, mir geht es auch nicht so gut…“. (116) Erlösung denkt er als „die christ-liche Kommödie … dass ein transzendeter Gott ein glückliches Ende garantiert.“ (117) Ange-sichts der Shoah reflektiert er die Banalität eines moralistischen Gottesbildes (118) und der Theorie der göttlichen Selbstbeschränkung (119) stellt er den leidenden Gott gegenüber als Ausdruck „eines Kampfes, in den das Absolute selbst verwickelt ist“ (121). Mit der Philoso-phie des dialektischen Materialismus stellt sich Žižek die Aufgabe, „den Grund der Spaltung von Gut und Böse in Gott selbst anzusiedeln und dabei dennoch im Feld des Monotheismus zu bleiben“ (120).
„Die allgemeine Definition der Parallaxe lautet: die scheinbare Verschiebung eines Objekts .. durch einen Wechsel der Beobachterposition, der eine neue Sichtlinie schafft.“ (21) Žižek beschreibt das Phänomen als einen „Tic“, der zwischen zwei gegensätzlich erschei-nenden Denkbewegungen steht und diese in der gegebenen Paradoxie zusammenhält. Menschliche, christliche Freiheit kann nur in der Bestimmung durch Natur, Trieb oder Vorse-hung sein, Sünde und Erlösung, Gesetz und Evangelium, ja gar theologisch zentrale Abstrak-tionen wie die Zweinaturenlehre (und die Trinität) können nur in ihrer scheinbar widersprüch-lichen Doppelung stehen bleiben.