24 August 2009

Kaffee, Schnaps und Sahnehäubchen

Ein Gläschen Schnaps in den Kaffee und oben drauf die Schlagsahne. Fertig ist der Pharisäer. Das Auge kann den Alkohol sowieso nicht sehen. Jetzt kann ihn die Nase kann auch nicht riechen. Die Schlagsahne dient als Versteck.
Auf den ersten Blick etwas Anderes, als in Wirklichkeit.
Oberflächlich schön, in Wirklichkeit ganz schön alkoholisiert.
Kaffee, Schnaps und Sahnehäubchen -
Damit bin ich beim Thema meiner Predigt:

Der „Pharisäer“ ist Inbegriff dafür, dass der äußere Schein trügt.
Das Klischee hat Jesus selbst benutzt. Und dieses Klischee hat gewirkt,
bis in die Benennung eines Ostfriesischen Getränks hinein.
Eigentlich meinte er aber nicht den Pharisäer seiner Zeit.
Und die Prediger der Alten Kirche, die dasselbe Klischee übernahmen,
konnten die Pharisäer auch nicht meinen.
Nicht die eigentlichen jüdischen Pharisäer,
sie meinten das Pharisäische im Christentum.
Pharisäer, das sind immer auch wir. Ich lese den Predigttext aus Lukas 18,9-14:
II
Er sagte aber zu einigen, die sich anmaßten, fromm zu sein, und verachteten die andern, dies Gleichnis: Es gingen zwei Menschen hinauf in den Tempel, um zu beten, der eine ein Pharisäer, der andere ein Zöllner. Der Pharisäer stand für sich und betete so: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute, Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner. Ich faste zweimal in der Woche und gebe den Zehnten von allem, was ich einnehme. Der Zöllner aber stand ferne, wollte auch die Augen nicht aufheben zum Himmel, sondern schlug an seine Brust und sprach: Gott, sei mir Sünder gnädig! Ich sage euch: Dieser ging gerechtfertigt hinab in sein Haus, nicht jener. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt werden; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht werden.

Er hätte das Ganze auch mit dem letzten Satz sagen können.
Dann gäbe es dieses eigentümliche Getränk namens Pharisäer nicht.
Jesus wollte nicht nur eine These aufstellen. Jesus wollte nicht nur
das harte Brot moralischer Thesen. Er wollte uns eingängig erzählen, was Sache ist.
Drum benützt er solch ein Bild,
erzählt süffisant
von inneren Konflikten,
im Tempel, in der Kirche,
in der einen religiösen Gemeinschaft
gibt es solche und solche. Und oft
ist der Bruch auch in dir drin.
Da ist die Pharisäerseele,
und die Büßerseele.
Beide können selbstgerecht werden; beide können echt sein.
Wesentlich ist - dazu dient der Schlusssatz - ob du dich damit produzierst.
III
Man kann sich nämlich auch pharisäisch selbst erniedrigen. Die Fromme Helene ist das klassische Beispiel. Gezeichnet von Wilhelm Busch:
  • Doch ist Helene nicht allein
    Nur auf sich selbst bedacht. - O Nein! -
  • Ein guter Mensch gibt gerne acht,
    Ob auch der andre was Böses macht;
  • Und strebt durch häufige Belehrung
    Nach seiner Beßrung und Bekehrung.

In einer Welt der Zwiegespaltenheit
ist die Jungfer Helene gar nicht die eigentliche Pharisäerin,
obwohl das Ebenbild der Frömmlerin, die ihrer selbst nicht Herr geworden ist und am Ende in der Hölle landet

  • Es ist ein Brauch von alters her:
    Wer Sorgen hat, hat auch Likör!

Im Abgesang ist es der Zuschauer selbst, den Wilhelm Busch als Onkel Nolte zeichnet und den er uns als Spiegel vor die Augen hält:

  • Als Onkel Nolte dies vernommen,
    War ihm sein Herze sehr beklommen.
  • Doch als er nun genug geklagt:
    »Oh!« - sprach er - »Ich hab's gleich gesagt!
  • Das Gute - dieser Satz steht fest -
    Ist stets das Böse, was man läßt!
  • Ei, ja! - Da bin ich wirklich froh!
    Denn, Gott sei Dank! Ich bin nicht so!!«

Das ist der Pharisäer, dieses „Ich hab’s gleich gesagt.“
Und sein typischer Satz lautet: „Gott sei Dank! Ich bin nicht so!“

IV

Wir haben da so eine protestantische Spielart des Pharisäertums.
Die institutionalisierte religiöse Selbstbestimmung.
Dass jeder selbst für seinen Glauben verantwortlich ist, hat sich nicht nur bei uns Potestanten festgesetzt; auch mancher Katholik meint, mir mit solchen Sprüchen schmeicheln zu können:
Herr Pfarrer, man muss doch nicht zur Kirche rennen, um Christ zu sein.
Ich kann ja auch zu Hause beten. Und in der freien Natur bin ich Gott auch nahe.
Ich lasse mir nicht vorschreiben, wie oft ich zur Kirche gehe,
Das ist ein weit verbreitetes, scheinbar emanzipiertes Denken.
Und man kann ja auch überhaupt nichts dagegen sagen, nur:
Die Art, wie das dann vorgetragen wird,
mit diesem Unterton der Selbstrechtfertigung,
der ja im Grunde unterstellt, dass der Gott etwas anderes von uns verlangt,
und voraussetzt, dass es den Zwang zum Kirchgang eigentlich auch gibt,
- den es in Wirklichkeit noch nie gegeben hat -
- aber das wollen die Leute in ihrer Zwanghaftigkeit nicht wahrhaben -
diese Eigenmächtigkeit, die in solchen Sätzen mitschwingt,
die selbsterlösende Forderung, Gott müsse mir gnädig sein,
auch wenn ich die von mir erfundenen Gesetze Gottes nicht erfülle,
das ist das eigentliche, modern-preußische Pharisäertum,
das gerade nicht sagt: Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie die andern Leute,
sondern: Ich danke mir selbst, ich bin nun mal so wie alle anderen.

Dass er vordergründig überhaupt nicht raubt, betrügt, die Ehe bricht,
aber voller Stolz spricht Ich danke dir, Gott, dass ich nicht bin wie diese Kirchgänger,
diese Selbstgerechtigkeit mit der man sich heute
nicht von den Zöllnern absetzt, sondern von sich selbst behauptet, kein Heuchler zu sein,
die ist das wahre, emanzipierte Pharisäertum.

Es gehört zum Guten Ton, dass man als Christ voller Stolz und selbstbewusst
das Fasten aufgegeben hat, und keinen Zehnten mehr gibt,
und dass man sich lächerlich macht über die Frömmigkeit der Muslime,
die den Ramadan halten, nach Mekka pilgern und fünfmal täglich ihr Gebet verrichten.

Ich darf mit einem verschmitzten Lächeln hinzufügen,
um die ganze Litanei auf die Spitze zu treiben:
Gott sei Dank, dass hier und heute
in diesem Gottesdienst keine solch selbstgerechten Menschen sind.

V

Es ist im Christentum durchaus üblich,
zum Morgen und zum Schlafengehen ein Gebet zu sprechen:
Schlagen sie in Ihrem Gesangbuch die Nummern 808 auf und die Nummer 814: da finden Sie
den Morgensegen, und den Abendsegen,
und das Tischgebet.
Ich werde nicht müde zu unterstreichen, dass wir dreimal täglich mit unseren Glocken zum Vater Unser rufen. Und das Fasten ist nicht erst mit 7WochenOhne wieder in die Mode gekommen; in der alten Kirche hat man zweimal die Woche gefastet, obwohl die Geschichte vom Pharisäer und vom Zöllner durchaus geläufig war. Religiöse Übung verstößt überhaupt nicht gegen die christliche Freiheit; im Gegenteil.

Eigentlich hatte der Pharisäer ja recht: Es war gut, dass er kein Räuber war, kein Betrüger oder Ehebrecher. Und kein Nazi-Spitzel, und keiner von der Stasi oder vom CIA. Diese Zöllner waren nun mal Kollaborateure!

Es war doch nicht falsch, dass er zweimal in der Woche gefastet hat. Und der Zehnte, das war damals die einzige Form von einer Sozialversicherung. Heute liegt sie bei 20 Prozent nur für die Altersvorsorge: Wir alle zahlen sie. Und dazu noch Krankenversicherung, und Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag.

Aber dass er den Schatten in seiner eigenen Seele nicht sieht, das hat man ihm vorgeworfen.
Dass er über all seiner religiösen Aktivität sich abgrenzt von diesem Zöllner und Sünder,
der mit ihm im selben Tempel steht und betet, das hat Jesus kritisiert.

VI

Diese starke Verbundenheit über das Sakrament in der Katholischen Kirche nimmt ja immer mehr ab. Die Frömmigkeit wird moderner, reflektierter, protestantischer. In unserer Kirche gab es schon immer eine Tendenz zu mehr Nachdenken; die Predigt und die Schriftsauslegung steht eher im Vordergrund. Da hat die Katholische Frömmigkeit inzwischen nachgezogen: In unsere Bibelwochen kommen viel mehr katholische Mitchristen als Evangelische. Man hat den Eindruck, die protestantische Schriftfrömmigkeit sei ausgewandert in die Schwesterkirchen. Zumindest landläufig und in der Volksfrömmigkeit hat sich die evangelische Freiheit im Protestantismus längst deformiert zu einer Unverbindlichkeit. Über kurz oder Lang wird diese moderne Beliebigkeit auch die anderen Kirchen erreichen, wenn wir nicht gemeinsam im Tempel stehen und um Gottes Wort ringen.

Hauskreise - oder wie sie in der katholischen Kirche heißen „Familienkreise“ - haben weitgehend die Bibelstunden ersetzt. Es gibt eine neue Untersuchung darüber - eine der spannendsten Entdeckungen aus meinem Kontaktstudium: Ein pensionierter Dekan aus Württemberg hat darüber seine Doktorarbeit geschrieben. Er kommt zu dem Ergebnis: Hauskreise sind eine Schule demokratischer Tugenden. Man übt sich in der Freie Rede, im spontanen Formulieren und Diskutieren. Gewissermaßen als Nebeneffekt neben dem Studium der Heiligen Schrift hält der Gesprächskreis geistig rege. Ich hab im Gemeindebrief ein wenig darüber geschrieben und angekündigt, dass ich die Predigt am Reformationstag darüber halten will. Da gibt es ein Element gemeinsamer Frömmigkeit, das wir als evangelische und katholische Christen ausbauen müssen.

VII

Da stehen sie also nebeneinander und beten, die Zöllner und Sünder - und die Pharisäer.
Und könnten Gemeinschaft miteinander pflegen.
Stattdessen reden sie aneinander vorbei
und gehen unverändert wieder zurück.
Der eine - so vermutet Jesus - ein wenig mehr gerechtfertigt.
Also mit Gott eher in Ordnung als der andere.
Aber so ganz in Ordnung eben doch auch nicht.
Etwas fehlt auch ihm: Dass er von Menschen angenommen worden ist.
Eine bittere Wurzel ist geblieben:
Sein gebet wurde von Gott erhört,
aber eben nur von Gott.

Der einzige, der tiefer blickt, ist Jesus, der von ihm erzählt.
Und wir, die wir von ihm erzählt kriegen, wir wissen,
dass vor Gott sein Gebet, sein kurzer Seufzer zählt.
Dem andern, dem Pharisäer, müsste erst noch jemand davon berichten,
müsste ihm ins Gewissen reden, ihm zeigen, dass er zwar äußerlich
richtig liegt, aber tief im Herzen noch verbogen ist,
verkrümmt, verliebt in sich und seine Selbstliebe.

VIII

Erst dann wird der Pharisäer bemerken, wie sehr er dem Zöllner gleicht.
Sobald er erkennt, wie schwer es ist, kein Pharisäer zu sein.
Da kommt auch über seine Lippen dieser erlösende Satz,
der nicht erlöst, weil er als Satz nachgesprochen worden ist,
sondern weil er Ausdruck einer großen, tiefen, leidvollen Erkenntnis ist:
Ich komm nicht raus aus meiner Überheblichkeit.
Ich kann meine Selbstgerechtigkeit nicht überwinden.
Aus eigener Kraft - schaffe ich es - nicht!
„Gott sei mir Sünder gnädig!“

Und da sind beide genau wie wir.

IX

Fromm sein, liebe Schwestern und Brüder, ist etwas Schönes.
Es kann ungeheuer stark sein, innerlich
und das Aussehen eines Menschen verändern.
Nicht dass man die Stigmata Christi trägt wie Franziskus
oder eine schleife im Haar wie die Schwestern von Adelshofen:
eine Ordenstracht wird nur von Wenigen erstrebt,
mystische Erfahrungen sind heute meist anderer Natur.
Aber wir wissen, in der katholischen, und in der gemeinsamen Kirchengeschichte genauso wie im modernen Protestantismus gibt es Gruppen, Vereinigungen, Organisationen,
die sich gegenseitig beistehen, einander helfen im Glauben zu leben
und sich auch gegenseitig korrigieren, wenn es Fehlentwicklungen gibt:
sowohl in Richtung falscher Selbstgerechtigkeit
als auch ins andere Extrem: Demut kann Krankhaft werden,
der Versuch der Jesusnachfolge eine Seele verkrümmen.
Echte Frömmigkeit findet ihren Weg zwischen den Extremen
von Pharisäertum und Bigotterie.

X

Echte Frömmigkeit ist schwach.
Es ist nicht mehr als ein Seufzer,
den der Zöllner zu sprechen wagt,
und auch der Pharisäer, wenn wir es ihm gesagt haben,
wenn er gelernt hat, wie erbärmlich er eigentlich ist:
wie gottserbärmlich - „Gott sei mir Sünder gnädig“
„Gott erbarmt sich - hoffentlich - über mich“.
Mehr sagen kann er nicht; aber dieser Seufzer ergreift Seele und Leib.
Und hoffentlich auch dich, der du den Auftrag hast,
ihm seine Schwachheit zu predigen,
vor Augen zu halten, wer er wirklich ist,
bangend und zitternd.
Denn auch du bist nicht sicher, ob die Wort stark genug ist,
den Zöllner und den Pharisäer zu erreichen.
Wahre Frömmigkeit zeigt sich in der Schwachheit.
In der Schwachheit bist du stark,
nicht weil du schwach bist,
sondern weil sich Gott über deine Schwäche erbarmt.
Aus diesem Bangen und diesem Zittern
wirst auch du fromm sein, mit Leib und Seele, durch und durch.

Σ

Ich mag keinen Pharisäer. Vielleicht weil ich kein Ostfriese bin.
Ich kann diesem Geschmack von Schnaps oder Rum im Kaffee nichts abgewinnen.
Man könnte ja die These aufstellen, dass die wenigsten Menschen tatsächlich gern Kaffe mit Schnaps und Sahnehäubchen trinken, und dass sie einfach gern mit dieser Form von Pharisäertum kokettieren. Aber das ist nun wirklich eine Spekulation.

Ich persönlich jedenfalls ziehe den Cappuccino vor. Im Italienischen Sommer mag ich vormittags diese Kaffees mit aufgeschäumter Milch. Und diesen trinke ich dann mit Zucker, obwohl ich normalerweise den Kaffee schwarz trinke. Ich nehme ein Tütchen Zucker und streue es oben drauf. Das macht das Sahnehäubchen so schön knusprig. Und dann löffle ich es genüsslich ab. Und ein teil von der Zuckerkruste sinkt hindurch und süßt den gesamten Kaffee; manchmal braucht’s ein Löffelchen extra. Das reicht manchmal sogar als Zwischenmahlzeit. Cappuccino macht stark.

Ein guter Cappuccino ist aus stark gebranntem Kaffee gemacht.
Aber es fehlt - wie beim Pharisäer - die alkoholische Schärfe.
Und er ist durch und durch süß.
Ein Wohlgeschmack für unsere Nerven,
vielleicht eben solch ein
Wohlgeschmack,
wie es
ein durch und durch frommer Mensch für Gott ist. Amen.