10 Februar 2012


Kirchliche Heimat stiftet Identität.

Pfarrer Richard Lallathin war der erste Referent im ökumenischen Gesprächskreis der Waldstadt am vergangenen Mittwochabend. Er sprach über seine kirchliche Beheimatung – in seinem Fall in der evangelischen: Eine Stärke der Landeskirche sei die starke Bindungskraft zur örtlichen Gemeinde. Aufgewachsen in einer Diaspora erlebte er in der Heimatgemeinde einen starken Zusammenhalt. Das gelte für katholische Gemeinden ebenso wie für seine evangelische Landeskirche, berichtete er mit Verweis auf das katholische Eichsfeld in Thüringen, wo die Menschen ihre Frömmigkeit auch unter schwierigen politischen Bedingungen durchgehalten hätten.

Das Dilemma der Kirche sei die von ihr begründete Freiheit: der Verzicht auf Bevormundung und moralischen Rigorismus schwäche den Zusammenhalt einer Gemeinde, aber „vom Evangelium her können wir nicht anders“. Eine volkskirchliche Orientierung grenze sich nicht ab gegen die Böse Welt, sondern der Glaube helfe zur Beheimatung in dieser Welt. In ihrer Offenheit sah Lallathin aber auch eine Stärke der großen Kirchen. Sie könne die Zeichen der Zeit wahrnehmen ohne Anpassung an den Zeitgeist.

Freilich könne man heute über manche Kleinigkeiten nur noch schmunzeln, etwa wenn man den Wechselgesang der katholischen, das leere Kreuz hingegen der evangelischen Kirche zuordne. Identität sei weniger über solche äußerlichen Merkmale als über die Erfahrung von Gemeinschaft zu finden. Kirche habe heute kein Monopol der Gemeinschaftsstiftung mehr; das sei jedoch eine Gelegenheit, sich neu auf ihre Kernkompetenzen zu besinnen, die er mit den beiden Begriffen „Frömmigkeit und Prophetie“ umschrieb.

Inhaltliche Fragen begründen nach Ansicht des Referenten ebenfalls die Unterschiede zwischen den Kirchen. In Fragen der Sexualethik, der Haltung zu Evolutionstheorie und Naturwissenschaft sowie in der Auslegung der Heiligen Schrift seien die Landeskirchen freier als die sogenannten freien Gemeinden. Ein wesentlicher Unterschied liege jedoch vor allem im Territorialprinzip: Hier wirst du hineingeboren, lebst in der Nachbarschaft mit Menschen die du dir nicht ausgewählt hast.

Gegen den Trend, auch in religiösen Fragen sich dem Markt zu öffnen und – was auch einige der Teilnehmer mit Sympathie berichteten – Kirche nach Sympathie und Gesinnungsgenossenschaft auszusuchen, setzte Richard Lallathin als leitender Geistlicher der Johannes-Diakonie das aktuelle Bemühen, in Politik und Gesellschaft den sozialen Nahbereich, die Nachbarschaft und den „Ort“ wieder verstärkt in den Blick zu nehmen: wieder vor Ort zusammen zu leben. Inklusion statt Ghettobildung sei nicht nur eine Frage der Gesellschaft, sondern auch eine Aufgabe von Kirche. Konkret genannt wurden Wohngruppen von Behinderten, aber auch neue Tendenzen in der Seniorenarbeit. „Das Leben vor Ort bekommt wieder eine neue Bedeutung: Da, wo Menschen leben, sollen sie als zivilgesellschaftliche Akteure soziale Kontakte pflegen.“