Kirchliche Heimat
stiftet Identität.
Pfarrer Richard
Lallathin war der erste Referent im ökumenischen Gesprächskreis der Waldstadt
am vergangenen Mittwochabend. Er sprach über seine kirchliche Beheimatung – in
seinem Fall in der evangelischen: Eine Stärke der Landeskirche sei die starke
Bindungskraft zur örtlichen Gemeinde. Aufgewachsen in einer Diaspora erlebte er
in der Heimatgemeinde einen starken Zusammenhalt. Das gelte für katholische
Gemeinden ebenso wie für seine evangelische Landeskirche, berichtete er mit
Verweis auf das katholische Eichsfeld in Thüringen, wo die Menschen ihre
Frömmigkeit auch unter schwierigen politischen Bedingungen durchgehalten
hätten.
Das Dilemma der
Kirche sei die von ihr begründete Freiheit: der Verzicht auf Bevormundung und
moralischen Rigorismus schwäche den Zusammenhalt einer Gemeinde, aber „vom
Evangelium her können wir nicht anders“. Eine volkskirchliche Orientierung
grenze sich nicht ab gegen die Böse Welt, sondern der Glaube helfe zur
Beheimatung in dieser Welt. In ihrer Offenheit sah Lallathin aber auch eine
Stärke der großen Kirchen. Sie könne die Zeichen der Zeit wahrnehmen ohne
Anpassung an den Zeitgeist.
Freilich könne
man heute über manche Kleinigkeiten nur noch schmunzeln, etwa wenn man den
Wechselgesang der katholischen, das leere Kreuz hingegen der evangelischen
Kirche zuordne. Identität sei weniger über solche äußerlichen Merkmale als über
die Erfahrung von Gemeinschaft zu finden. Kirche habe heute kein Monopol der
Gemeinschaftsstiftung mehr; das sei jedoch eine Gelegenheit, sich neu auf ihre
Kernkompetenzen zu besinnen, die er mit den beiden Begriffen „Frömmigkeit und
Prophetie“ umschrieb.
Inhaltliche
Fragen begründen nach Ansicht des Referenten ebenfalls die Unterschiede
zwischen den Kirchen. In Fragen der Sexualethik, der Haltung zu
Evolutionstheorie und Naturwissenschaft sowie in der Auslegung der Heiligen
Schrift seien die Landeskirchen freier als die sogenannten freien Gemeinden.
Ein wesentlicher Unterschied liege jedoch vor allem im Territorialprinzip: Hier
wirst du hineingeboren, lebst in der Nachbarschaft mit Menschen die du dir
nicht ausgewählt hast.
Gegen den Trend,
auch in religiösen Fragen sich dem Markt zu öffnen und – was auch einige der
Teilnehmer mit Sympathie berichteten – Kirche nach Sympathie und
Gesinnungsgenossenschaft auszusuchen, setzte Richard Lallathin als leitender
Geistlicher der Johannes-Diakonie das aktuelle Bemühen, in Politik und
Gesellschaft den sozialen Nahbereich, die Nachbarschaft und den „Ort“ wieder
verstärkt in den Blick zu nehmen: wieder vor Ort zusammen zu leben. Inklusion
statt Ghettobildung sei nicht nur eine Frage der Gesellschaft, sondern auch
eine Aufgabe von Kirche. Konkret genannt wurden Wohngruppen von Behinderten,
aber auch neue Tendenzen in der Seniorenarbeit. „Das Leben vor Ort bekommt
wieder eine neue Bedeutung: Da, wo Menschen leben, sollen sie als
zivilgesellschaftliche Akteure soziale Kontakte pflegen.“