28 Mai 2009

Sedativum

Sitzen ist Schwerarbeit. Seine Auswirkungen: Verfestigung der Skelettmuskulatur, reduzierte und geformte Atmung und Neuordnung der sinne zueinander. Der Stuhl fasst dabei den Sitzenden ein, legt sich wie eine Schablone auf das Vegetative und schneidet so die Physis, dass Funktionen geformt und gehemmt werden.

Das Umformen der Körperlast auf das Gesäß entlastet die Beinmuskulatur, schwächt sie aber zugleich und greift in funktionelle Zusammenhänge der Skelettmuskeln ein. Da das Sitzen die Gesäßmuskulatur chronisch verspannt und die Bein- und Rückenmuskeln schwächt, lässt sich der menschliche Lei nicht mehr dynamisch von unten nach oben aufbauen: Das Becken verliert seine stabilität auf den Hüftgelenken, die Wirbelsäule ihre Elastizität auf dem Becken, und der kopf ruht nicht mehr gut balanciert auf dem Atlas. Der Homo sedens verliert im Stehen seinen Halt und erlebt Sitzen zunehmend als Bedürfnis.

(Hajo Eickhoff, Himmelsthron und Schaukelstuhl. Die Geschichte des Sitzens, München: Hanser 1993, S. 156157)

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