09 April 2009

Dynamische Bibel

Der Jude Aharon Agus wird angeführt. Er habe die neue Sicht ins Buch gefasst:
Nicht ist das Neue Testament eine Fortschreibung des Alten, noch eine Auslegung mit dem Anspruch, Kombinationen 1:1 zusammen zu führen. Vielmehr ist schon im Judentum eine Form der Schriftauslegung gepflegt worden, die sich dann in christlicher Zeit fortsetzt: Dynamische Schriftauslegung.

Das ist eine lebendige und lebensnahe Deutung von Gotteserfahrungen auf dem Hintergrund bereits schriftlich festgehaltener Früherer. Aber nicht nach dem Motto: „damals wurde etwas versprochen - jetzt wird es eingelöst“, sondern so, dass die alten Worte durch die neue Erfahrung anders geordnet, neu bezogen und zusammengestellt werden. Es entstehen stets neue Deutungen aus dem Alten heraus, von ihm mit Worten ausgestattet, aber in vollkommen neuer Gestalt. Klar: was heute passiert, ist ja noch nie dagewesen.

Es war noch nie dagewesen, dass einer im Judentum als Träger von Sünde wahrgenommen wurde. Im Grunde auch für das positive Gottesbild unerträglich: dass da Einer ins Totenreich hinab fährt, in die Verbannung der Unkenntlichkeit, geschlagen und gezeichnet mit allen Zeichen eines Geächteten; und dennoch bleib Gott ihm nah. Dynamische Schriftauslegung zur Zeit des Jesaja.

Es war eigentlich unvorstellbar, dass Gott sein Volk so der Fremdherrschaft ausliefert, wie zur Zeit der Assyrer, Griechen und Römer. Daniel erkennt dies als politische Katastrophe und hofft politisch auf den „Menschensohn“; der Psalmist betet ein persönliches, individuelles Gebet, und prägt dort die Erwartung eines Heilandes.

Es war noch nie dagewesen, dass Einer im Judentum als Gegenwart Gottes erfahren wird; jetzt haben sie es erfahren. So entstand die christliche Deutungsgemeinschaft: völlig legitim innerhalb des Judentums. Erst später wurde sie zur eigenen Religion ausgesondert; aber immer mit dem Nimbus einer größeren, besonderen Nähe zur jüdischen Mutter.

Pfingsten als genuin jüdische Gotteserfahrung, insofern die damit verbundene Irritation des strengen Monotheismus integral und genuin im Duktus jüdischer Überlieferung liegt. Das Neue Testament als eine Variante des Talmud. Jesus als politische und individuelle Erfüllung einer politischen und privaten Hoffnung, die im Judentum vorgespurt war; und eben nicht die individualistische Zuspitzung eines zuvor rein völkisch ausgerichteten Religionssystems.

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