23 Juni 2009

Der Zwölfjährige Hohepriester

Bei meinen Recherchen in der Heidelberger Predigtforschungsstelle stieß ich auf die Darstellung des Zwölfjährigen Jesus als sitzender Gelehrter. Sie findet sich als Relief an der Kanzel der Schlosskirche von Torgau, jener Kirche, die 1544 von Martin Luther als erste reformatori-sche Kirche eingeweiht worden ist - die Kirchweihpredigt Luthers ist in der Liturgiegeschich-te bekannt; das Kanzelrelief weniger: Fritz Thum hat es im homiletisch-liturgischen Korres-pondenzblatt NF 51/1996 aufgenommen in einer Predigt zu Hebräer 8 als Ausdruck genuin protestantischer Schriftfrömmigkeit und Illustration der Kirchweihpredigt Luthers, dass diese Kirche mit dem rechten Weihwasser besprengt werde, nämlich mit dem Worte Gottes und dem Räucherfass des Gebets. „Der erhöhte Christus rettet seine Kirche vor dem Sündenfall der Banalität“ - so möchte ich die Predigt des Torgauer Kanzelreliefs umschreiben. Der Pre-diger, der diese Kanzel besteigt, wird stets daran erinnert, dass Jesus der wahre Lehrer der Kirche ist, und durch seine Lehrtätigkeit göttliche Autorität und Versöhnung übt, innere Reli-gionskritik übt und Heil für Seele und Leib. Dieser Aspekt kommt in den Seitenbildern zum Ausdruck: Die Begnadigung der Ehebrecherin mit dem Verweis Jesu auf den Sinn des ge-schriebenen Wortes (er schreibt in den Sand, im Hintergrund die Tafeln des Dekalogs); die Reinigung des Vorhofs, um den Zugang zum Allerheiligsten neu zu eröffnen (im Hintergrund die eherne Schlange als Gleichnis für den am Kreuz erhöhten Christus).

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