06 Juli 2009

Kultmetaphorik

War die christliche Gemeinde ursprünglich im Haus verortet, so teilt sie dieses Schicksal mit der jüdischen Gemeinde, die sich sowohl im Tempel als auch im Gegenüber zum Tempel organisiert; die Synagoge entstand möglicherweise aus drei oder vier unterschiedlichen Traditi-onen; genannt werden - mit unterschiedlichen Plausibilitäten: das „Haus“, das Tor, die Versammlung der Standmannschaften, der hellenistische Verein. Jede dieser drei Größen hatte eine eigene Funktion, bildete im Lauf der Geschichte einen eigenen Umgang mit dem Kultus aus und bot unterschiedliche Formen kultmetaphorischer Deutung: Nicht nur in Verarbeitung der Ereignisse des Jahres 70 n Chr, sondern schon zuvor, bedingt durch unterschiedliche Dis-tanz zum Jerusalemer Tempel, an dem sich der Gottesdienst zentralisierte, und auf den sich das kultische Denken bezog.

  1. Der Tempel mit dem Schwerpunkt Opfer und der Möglichkeit zu Lehre, persönlichem und öffentlichem Gebet Sowie dem Gesang der Standmannschaften.
  2. Die Synagoge mit den Schwepunkten Thoralesung und Unterweisung und der Möglichkeit zum Öffentlichen Gebet, dem Gesang der Standmannschaften, eventuell auch Mahlfeiern anlässlich besonderer Feste; aber auf jeden Fall: Keine Opfer
  3. Das Haus mit dem regelmäßigen Deipnon/Symposion und der Möglichkiet zu Almosen, Fasten, Beten, Gemeinschaft (1. Kor 11), Thora-Observanz, Unterweisung. Hier fand auf keinen Fall irgend ein Kultus statt.

Mahlfeiern, wie Jesus sie mit seinen Jüngern häufig gefeiert hat, haben ihren Ort im „Haus“; selbst das Passahmahl hat in sich keinen kultischen Charakter, wenngleich dieses Mahl die innigste Verbindung zwischen Kult und Hausfrömmigkeit im Judentum aufwies: Die Lämmer zum Passahfest waren zuvor im Tempel geschlachtet worden. Die Lesung von Thora und Propheten nach einem festen Lesezyklus gehören in die Synagoge, die in Palästina ursprünglich vor allem Ort der Lehre und des Lernens gewesen ist. Zwar überschneiden sich die Funktionen der drei Sozialgestalten; dennoch sind klare Zuordnungen und Ausschlüsse zu beschreiben.

Bei Wegfall des Tempelkults ergeben sich verschiedene Optionen. Das Christentum als jüdische Bewegung hat daran Anteil gehabt:

  1. Der Vollzug des kultischen Tempelopfers wird in eine unbestimmbare Zukunft projiziert („eschatologisch“ oder als Naherwartung „übers Jahr in Jerusalem“)
  2. Die Gemeinde ersetzt kultisches Denken durch ethische Implikationen der Kultkritik.
  3. Kultische Elemente im „Haus“ vermischen sich mit der magisch-sakramentalen Vergegenwärtigung (des Kaisers) beim hellenistischen Symposion.
  4. Elemente der Hausfrömmigkeit tauchen in der (christlichen) Synagoge auf (so etwa das deipnon).
  5. Hausgemeinde und Synagoge bleiben erfolgreich resistent gegen kultischen Vollzug, transformieren diesen jedoch:
    a. zu einem Wortgeschehen
    b. zu einem himmlischen Geschehen
    c. zu einem ethischen Vorgang

Die Metaphorik scheint so stabil gewesen zu sein, dass wir der Annahme folgen müssen, dass diese Bildwelt eine menschliche Grundbefindlichkeit anspricht, die durch nichts zu ersetzen ist. Dies jedoch mit RENÉ GIRARD in einem Urmythos zu begründen, der die Gesellschaft im Opfer konstituiert, scheint mir mit der biblischen Urgeschichte nicht vereinbar. Im christlichen Kultus muss Schöpfung und Neuschöpfung dem Agnus Dei voraus gehen. Das hat Auswirkungen auf die Abendmahlsfrömmigkeit ebenso wie auf das Verständnis des Opfers als Sacrificium, Victim und Offertium.

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