16 Juli 2009

Was hindert Kirche, sich zu verändern und zu bewegen?

Wer betet, will zunächst die Augen schließen und ganz bei Gott sein. Sein Reich - so dünkt uns - sei etwas ganz Besonderes: eine Ära, die mit unserem mühsamen Alltag nicht verfilzt sein darf. Wir singen eine andere Art von Liedern, treten in einen anderen Raum, wenn wir den Gottesdienst betreten, sprechen eine Sprache, die sonst nicht gesprochen wird. Wir lasen Gefühle spielen, die uns aus dem Allltag heraus erheben. Das bietet einen therapeutischen Frei-raum; wir dürfen die entlastende Funktion dieser Trennung nicht gering schätzen.

Aber dann gibt es Menschen, die interessieren sich für diese Form von Religion überhaupt nicht mehr, weil sie so von ihrem Gefühlsleben so weit entfernt ist. Die „old time religion“, der Glaube früherer Tage findet keine Brücke mehr zu unserem Leben. Väter nehmen ihre Kinder lieber mit auf den Fu߬ball¬platz. Die Musik unserer Kinder unterliegt jährlich wechselnden Moden, gesungen wird allenfalls noch mit Karaoke. Wenn diese Menschen wieder zur Kirche kommen, dann ist die Distanz groß geworden. Fremd geworden sind sowohl die alten wie die neuen Lieder.
Der Heidelberger Theologe Fritz Lienhardt berichtet von einer Untersuchung über Christen, die am Gemeindeleben nicht mehr teilnehmen. Dort wurde festgestellt, dass diese Menschen überhaupt nicht begeistert sind, wenn Kirche sich verändert. Wenn sie nach drei oder dreizehn Jahren - wegen einer Hochzeit oder Taufe - oder zu einem Weihnachtsfest zur Kirche zurück kehren, soll möglichst Alles so sein wie früher. Er zieht daraus die Konsequenz: Eine lebendige Gemeinde, die ein pulsierendes Leben vorweist und sich ständig verändert, kann die Langeweile vertreiben; dem Wiederge-winnen distanzierter Christen dient die Modernisierung nicht. Wer nur zu bestimmten Anlässen religiös aktiv wird, trägt den Sa-men jenes emotionalen, hochreligiösen Konservatismus in sich - ist ein potentieller Bremser. So kommt es zum Konflikt: Hier eine kleine Zahl engagierter Christen, die sich stetig vom Glauben verwandeln lassen, dort die große Masse konservativ Gesinnter. Pfarrer und Älteste stehen dazwischen, tragen teilweise gar die Spannung in sich, werden bestenfalls blockiert, schlimmstenfalls jedoch aufgerieben.
Während in lebendigen Gemeinden der sonntägliche Kirchgang die Regel ist, hat es sich in unserer Kirche eingespielt, dass selbst verantwortliche Mitarbeiter vierzehntägig zur Kirche gehen, oder noch seltener. Das ist ein Ausdruck evangelischer Freiheit; und diese Freiheit verlangsamt den Prozess des gemeinsamen Lernens. Ich glaube, dass wir in der evangelischen Kirche weitere Treffpunkte neben dem Gottesdienst brauchen: Nicht allein zur Geselligkeit, sondern auch zum geistlichen Gespräch.
Wenn sich möglichst viele Menschen am Gemeindeleben beteiligen, bedeutet dies für alle, die in der Gemeindeleitung tätig sind: Wir müssen umlernen, eine neue Kultur der gegenseitigen Begeisterung entwickeln und miteinander reden! Nicht dass wir uns dem Zeitgeist ausliefern: Aber eine lebendige Gemeinde muss am Puls der Zeit liegen und immer wieder Brücken bauen vom Alltag ins Heiligtum und zurück.

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