06 Juli 2009

Parallelismus

Die parallele Entstehung von Christentum und rabbinischem Judentum
Die Identifikation des Messias mit einer geschichtlichen Persönlichkeit war durchaus eine Option innerhalb des Judentums. Aber mit dieser Identifikation fand innerhalb des Judentums eine derart massive Veränderung statt, dass die neue Richtung Christentum und Judentum als zwei unterschiedliche Wege provozierte. Dies geschah jedoch in einem langsamen Distanzie-rungsprozess der beiden Bewegungen zu zwei selbständigen Religionen.
Professor Martin Poettner berichtet vom Habilitationsprojekt des ehemaligen Heidelbergers David Trobisch, der eine neue Sicht auf die Entstehung des christlichen Kanons erarbeitet hat. Entstanden im letzten Drittel des zweiten Jahrhunderts mit LXX, Evangeliensammlung, Pau-lusbriefen, Praxapostolos und Apokalypse, stellt die Kanonbildung den ersten, nicht revidier-baren Schritt zur Abtrennung vom Judentum dar. Archäologie und Liturgiegeschichte zeigen jedoch - regional unterschiedlich - bis ins vierte Jahrhundert „kreuz und quer verlaufenden Linien“ - so der Titel einer Relektüre des jüdischen Religionsphilosophen DAVID BOYARIN aus den USA - gegenseitiger Beeinflussung auf.
Die Rede von Auferstehung und die Identifikation des Messias sind als gegensätzliche Optio-nen in der gemeinsamen Wurzel des jüdischen Kanons begründet. Die Methode der „dynami-schen Schriftauslegung“, im Judentum entwickelt und vom Christentum übernommen, inter-pretiert die Heiligen Schriften bezogen auf die jeweils gegenwärtige Gotteserfahrung von In-dividuum und Gemeinde und setzt aus dieser Perspektive auch Schwerpunkte in den Heiligen Schriften; das Thema eines (flexiblen) Kanons im Kanon ist im Judentum bereits vorgegeben.
Offensichtlich handelt es sich nicht um eine Außenseiterposition; Kommilitonen berichten, dass diese These auch in der Vorlesung über die Alte Kirche aufgenommen wird. Genannt wird neben DAVID BOYARIN der Heidelberger Judaist AHARON AGUS. Nicht die Konstantini-sche Wende ist das einschneidende Datum, sondern die Erhebung des Christentums zu Staatskirche durch Kaiser Theodotius im Jahr 380 stellt die endgültige Trennung dar. Für das Verhältnis der beiden Religionen von Christen und Juden bedeutet dies, dass
  1. eine wesentlich längere Zeit von gegenseitiger Beeinflussung und gegenläufiger Ab-grenzung angenommen werden muss.
  2. In seiner rabbinischen Ausprägung ist das Judentum nicht die Mutterreligion, sondern eine Schwesterreligion der christlichen.
  3. Die Tradition der Schriftauslegung ist in beiden Religionen außerordentlich flexibel und offen sowohl für Erfahrung als auch für neue Theorie.
  4. Der Hebräerbrief als christliche Homilie hat seinen liturgischen Ort in einer Leseord-nung, die sich als christliche an die synagogale anlehnt, als Homilie zu Tischa-be Aw.

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