06 Juli 2009

Soziologie als Fremdsprache der Praktischen Theologie

Eine Chance zu einem Intensivkurs in Religionssoziologie ergab sich für zwei Kontaktpfarrer und zwei Studentinnen am Lehrstuhl für Kirchentheorie. Der Dozent Manfred Ferdinand bot eine Übung „Gemeinde wahrnehmen“ an. Die kleine Zahl von Teilnehmenden bewies, dass die Soziologie als Fremdsprache (Lienhardt) der Praktischen Theologie von den Studenten noch kaum wahrgenommen wird. Die Veranstaltung galt als Pilotprojekt für eine künftige universitäre Begleitung des obligatorischen Gemeindepraktikums. Unbeschadet dieser begrüßenswerten Entwicklung bietet Manfred Ferdinand auch weiterhin jedes Semester religionssoziologische Veranstaltungen an: Aus meiner Sicht ein Fortschritt in der gegenwärtigen Theologenausbildung, an dem ich unbedingt teilhaben wollte.
Neben Ansätzen einer kultursoziologischen Transformationstheorie (Wilhelm Gräb) beschäftigte uns die Grounded Theory in der Vermittlung des Religionssoziologen Hubertus Knob-lauch und die Erkenntnisse der Neuen Frankfurter Schule der Theologie (Dinter, Heimbrock, Söderblohm). Zum Einstieg befasste wir uns mit den Ansätzen vorhandener religionssoziologischer Umfragen: Neben der Kinderstudie von World Vision und dem Religionsmonitor von Bertelsmann standen auch die Visitationsfragebögen unserer Kirche und die neusten EKD-Erhebungen am Horizont. Einen Ausblick auf das Forschungsprojekt „Religiöse Erwartungen“ erhalten wir zum Abschluss des Kurses.
Eine willkommene Ergänzung bot schließlich der Hinweis von Professor Lienhardt, der uns im Auswertungsgespräch auf die soziologischen Erklärungsansätze von Detlef Pollack zur besonderen religiösen Lage in Ostdeutschland hinwies: Ein Landstrich, dessen Bevölkerung schon vor der kommunistischen Ära zur Staatskirche auf Distanz gegangen war, in dem das kirchliche Teilnahmeverhalten trotz der Minderheitensituation „volkskirchlich“ distanziert, die Struktur parochial geblieben war, dessen Menschen die Kirche nach der Wende von 1989 zunächst über den Steuerbescheid begegnete, und das - im Unterschied etwa zum katholi-schen Polen und zu Russland - nach der Wende keine Wiederbelebung der Religion erlebt hat. Hoffnungsvoll ist hier lediglich eine kleine Gruppe Jugendlicher und junger Erwachsener (Pollack/Pickel, Religiöser und kirchlicher Wandel, 2000, S. 23) die sich durch hohe Motivation und Partizipationsbereitschaft auszeichnet.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen